Per­sön­li­cher Tipp eines Mit­glieds unse­rer Bürgerinitiative

Chris­ti­na Puhm zum The­ma Coro­na und Spal­tung quer durch die Weltgesellschaft:

Nach­fol­gend ein Brief von Dr. Marie-Lui­se Stie­fel, die mir das Abdru­cken ihres Brie­fes aus­drück­lich gestat­tet. In die­sem Text geht sie auf ganz per­sön­li­che Wei­se der Fra­ge nach, wie es zu die­ser Spal­tung kommt. Sie fin­det eine eige­ne Deu­tung,  deren Ansatz ich inter­es­sant und nach­den­kens­wert fin­de. 

Coro­na, ich und WIR

War­um ich als über­zeug­te Gemein­schaft­le­rin das Virus in mein „WIR“ einschließe

Unfass­lich, was so ein klit­ze­klei­nes Virus bewir­ken kann: Es hat eine Spal­tung quer durch die Welt­ge­sell­schaft sicht­bar gemacht und in unse­re All­tags­welt gebracht, die dem gan­zen Schla­mas­sel unse­rer heu­ti­gen Welt zugrun­de liegt. // Die einen den­ken „Mensch und Natur“, die ande­ren den­ken (und füh­len) „Mensch ist Natur“. Und oder ist, – die­se bei­de Wört­chen machen den Unterschied.

Den­ke ich „Ich und Natur“, die Natur also als mein Gegen­über, wird sie mir zum Objekt – das kann ich lie­ben, mich an ihm freu­en, es kul­ti­vie­ren, ich kann es auch instru­men­ta­li­sie­ren, mani­pu­lie­ren, fürch­ten, beherr­schen, aus­beu­ten. In Ver­bin­dung mit dem durch und durch mecha­nis­tisch-tech­no­kra­ti­schen und alles der Öko­no­mie unter­wer­fen­den Welt­bild der west­li­chen Moder­ne hat uns die­ses Den­ken als Mensch­heit heu­te an den Punkt auf die­sem Pla­ne­ten gebracht, an dem wir sind. 

Men­schen kön­nen nach Belie­ben in die Natur ein­grei­fen, selbst in ihr eige­nes Gen­ma­te­ri­al. Sie sehen sich sel­ber als „Bio­Com­pu­ter“, den man belie­big funk­tio­nal steu­ern und des­sen Lebens­dau­er man mit­tels Repa­ra­tu­ren und Ersatz­tei­len ver­län­gern kann. Anhän­ger die­ses Welt­bil­des haben u.a. dem Virus den Krieg erklärt, wol­len es bekämp­fen und aus­rot­ten. Zero Covid ist die Devise.

Den­ke ich „Ich bin Natur“, dann bin ich, wie vie­le ande­re Erschei­nungs­for­men von Natur, Teil der Natur, die­se ist auch Teil von mir, sie ist mei­ne Mit­welt. Ich den­ke in „mit“, in „wir“. Ich suche die Ver­bun­den­heit und bin an einem gelin­gen­den Mit­ein­an­der inter­es­siert. Alles ist mit allem ver­bun­den, sagen die Quan­ten­phy­si­ker und sagen die Mys­ti­ker. Das ist mei­ne Welt! Viren sind Teil die­ser Welt. Es geht dar­um, mich in die­ser Welt klug ein­zu­rich­ten, nicht dar­um, das Virus aus­rot­ten zu wol­len. Was sowie­so nicht funk­tio­niert, dazu sind die­se klei­nen Teil­chen viel zu agil und wird die eine Vari­an­te durch einen Impf­stoff aus­ge­bremst, set­zen sich Muta­tio­nen durch, die der Impf­stoff nicht „erwischt“. So geht das mit der Evo­lu­ti­on. Eine never ending Story.

Was heißt für mich „klug einrichten“?

Nun, ich gehe davon aus, dass die­sem hoch­kom­ple­xen, dyna­mi­schen Sys­tem Natur eine sich selbst orga­ni­sie­ren­de Intel­li­genz inne­wohnt. So hat sich u.a. im Wech­sel­spiel von Mensch und Viren unser Immun­sys­tem her­aus­ge­bil­det und stets wei­ter­ent­wi­ckelt. Das hat kei­ner „gemacht“, das ist gesche­hen. Wenn mich nicht alles täuscht, ist u.a. die­se „Ko-Pro­duk­ti­on“ von Mensch und Viren eine Vor­aus­set­zung, dass es die Mensch­heit noch gibt. Ich bin für Viren der Wirt. Also sor­ge ich dafür, dass die Wir­tin Marie­Lui­se dem Virus allen­falls ein paar klit­ze­klei­ne Andock­stel­len lie­fert und ein so robus­tes Immun­sys­tem hat, dass die Wei­ter­ver­brei­tung der Viren in ihrem Kör­per schnell zum erlie­gen kommt. Und dabei hat mein Immun­sys­tem etwas Neu­es „dazu­ge­lernt“. Super!

Hät­te ich hin­ge­gen gera­de eine Che­mo hin­ter mir, was die Situa­ti­on eines Bekann­ten ist, dann wür­de ich aus frei­en Stü­cken mei­ne „ana­lo­gen“ Kon­tak­te auf ein Mini­mum reduzieren.

Und dann weiß ich natür­lich, dass ich kein Bio­Com­pu­ter bin, son­dern ein sehr leben­di­ges, füh­len­des Wesen, mit Bedürf­nis­sen und mit Herz, Geist und See­le aus­ge­stat­tet — oder nenn es Psy­che…- egal, jeden­falls mit Wesens­zü­gen, die einem Com­pu­ter fremd sind. Es dient mei­ner Gesund­heit und mei­nem Immun­sys­tem, dass ich posi­ti­ve Gefüh­le hege, dass ich mich als wirk­sam erle­be und mei­nem Leben einen Sinn gebe, dass ich für ande­re da bin und sie für mich. 

By the way – ich fra­ge mich, wie­so hat die Evo­lu­ti­on uns mit ca. 50 ver­schie­de­nen Gesichts­mus­keln aus­ge­stat­tet, wenn nicht die wahr­nehm­ba­re Mimik für das sozia­le Mit­ein­an­der und Über­le­ben der Men­schen bedeut­sam wäre? Was wäre aus der Mensch­heit gewor­den, wenn schon früh in ihrer Geschich­te eine Ent­wick­lung mit Mas­ken und Social Distancing ein­ge­setzt hät­te? Hät­te sich dann über­haupt unse­re Spra­che ent­wi­ckelt, wür­den wir zusam­men sin­gen? Hät­te es einen Goe­the, Hein­rich Hei­ne oder Min­ne­lie­der gegeben?

Und, ein Drittes: 

Ich weiß um mei­ne Sterb­lich­keit und habe dazu ein unbe­ding­tes Ja. 

Wie auch anders — ich hal­te den Kreis­lauf von Ver­ge­hen und Wer­den für natur­ge­ge­ben. Nur so geht Ent­wick­lung. Und selt­sa­mer­wei­se för­dert die­se Ein­sicht mein Bewusst­sein für die Kost­bar­keit des Lebens, für das, was wahr­haf­tig zählt und sum­ma sum­ma­rum mei­ne Leben­dig­keit. Ja, ich bren­ne für ein leben­di­ges Leben und bin für unto­tes Exis­tie­ren nicht zu haben. Es ist für mich zur Zeit der aller­größ­te Schmerz, was im Namen des sog. „Bevöl­ke­rungs­schut­zes“ den Kin­dern und Jugend­li­chen ange­tan wird. 

Das hat es in der Mensch­heits­ge­schich­te noch nicht gege­ben: Dass der nach­kom­men­den Gene­ra­ti­on nicht nur eine unsäg­li­che öko­no­mi­sche Schul­den­last auf­ge­bür­det wird, dass ihr für die Gesund­heit der Groß­el­tern­ge­nera­ti­on Ver­ant­wor­tung über­tra­gen („Du willst doch nicht, dass wegen dir die Oma stirbt“?) und sie durch damit begrün­de­te Maß­nah­men zugleich ihrer Ent­wick­lungs­chan­cen in so einem Aus­maß beraubt wird. Psy­cho­lo­gen sagen: Ein Jahr im Leben eines Kin­des ent­spricht 10 Lebens­jah­ren eines Älteren.

Gesund ist das nicht, für nie­man­den. Wür­dig ist es auch nicht, für kei­nen Erwach­se­nen, für kei­nen Älte­ren. „Meis­ter, was ist Glück?“, wur­de ein­mal ein Zen­meis­ter gefragt. Die Ant­wort: „Glück ist, wenn die Groß­el­tern vor den Eltern und die Eltern vor den Kin­dern sterben.“

Mit­welt­den­ken – vom klei­nen Wir zum gro­ßen WIR

Merkt der Fisch, der im Was­ser schwimmt, dass er im Was­ser schwimmt? Mir kommt es vor, als wäre evo­lu­tio­när ein neu­er Land­gang dran. Auf­ge­wach­sen und also durch und durch kul­tu­rell geprägt von dem dua­lis­ti­schen Welt­bild von „Mensch und Natur“ wach­se ich erst ganz all­mäh­lich, mich selbst erfor­schend und Altes los­las­send, den­kend und vor allem füh­lend in das Mit­welt­ver­ständ­nis hinein. 

Ich habe schon früh gemerkt, dass, wenn ich einen ande­ren grob ange­he, es mich sel­ber schmerzt und wenn ich ihm eine Freu­de mache, es mich sel­ber freut. Altru­is­mus ist, sagt der Dalai Lama, die klügs­te Form von Ego­is­mus. Von die­ser Wahr­neh­mung bis zu einer selbst­ver­ständ­li­chen Seins­wei­se in der Mit­welt ist es jedoch noch weit, weit, weit. Ich weiß nicht, ob mein nun schon 70 Jah­re wäh­ren­des Leben dafür reicht. Wie sagt jedoch mei­ne lebens­klu­ge Freun­din E. ob sol­cher Zwei­fel: „Be rea­li­stic, expect a miracle“.

10 Jah­re Gemein­schafts­le­ben haben mir in Sachen Ver­bun­den­heit schon vie­le Erfah­run­gen geschenkt. Unse­re Land­wirt­schaft pflegt im Umgang mit unse­ren Böden sys­te­ma­tisch den Mit­welt­ge­dan­ken. Den­ke ich bei­des, Gemein­schafts­bil­dung und rege­ne­ra­ti­ve Land­wirt­schaft zusam­men, dann arbei­ten wir an einem gro­ßen WIR, das über das klei­ne Wir von uns Men­schen hin­aus­ge­hend die nicht­mensch­li­chen Orga­nis­men einbezieht.

Da dies so ist, habe ich zum Coro­na-Virus ein ent­spann­tes Ver­hält­nis. Es lehrt mich Vie­les. Ich könn­te sagen: Wir leben eine zuneh­mend gelin­gen­de Kopro­duk­ti­on zur Wei­ter­ent­wick­lung mei­nes Bewusst­seins und geis­ti­gen Immunsystems.

Dr .Marie Lui­se Stiefel

P.S. für poten­ti­el­le Kri­ti­ker mei­nes Welt­bil­des: Als Wis­sen­schaft­le­rin weiß ich, dass alle unse­re Theo­rien Annah­men über die Welt sind, nie­mals die Wahr­heit. Sie gel­ten so lan­ge, bis ein empi­ri­scher Befund ihr Falsch­sein beweist.

Wenn das so ist, dann neh­me ich mir die Frei­heit, eine Annah­me zu wäh­len, die leben­dig­keits­för­der­lich ist. Das kann ich nur emp­feh­len. Das Leben ist dann weni­ger verbissen.

*Kurz­bio­gra­phie

Dr. Marie Lui­se Stie­fel, Sozi­al­wis­sen­schaft­le­rin, war Lei­te­rin der Jugend­hil­fe­pla­nung im Jugend­amt der Lan­des­haupt­stadt Stutt­gart von 1995 bis 2007. Zuvor war sie wis­sen­schaft­lich an der Uni­ver­si­tät Hohen­heim tätig mit den Schwer­punk­ten Armuts­for­schung und Alters­for­schung und pro­mo­vier­te auch über die­ses The­ma. Außer­dem arbei­te­te sie als freie Mit­ar­bei­te­rin bei der Robert Bosch Stif­tung und beim Sozi­al­amt der Lan­des­haupt­stadt Stutt­gart, bevor sie die Abtei­lung Jugend­hil­fe­pla­nung beim Jugend­amt auf­bau­te und leitete.

Seit 2008 ist Frau Dr. Stie­fel frei­be­ruf­li­che Pro­zess­ar­chi­tek­tin (www​.pro​zess​ar​chi​tek​tin​.de) und seit 2010 Mit­glied der Gemein­schaft Schloss Tem­pel­hof (www​.schloss​-tem​pel​hof​.de).

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